Schärfe ziehen: Wie geht es richtig?

Augenschärfe nehmen: Stellen Sie die Schärfe immer mit möglichst offener Blende ein.

Bei szenischer Filmarbeit muss die Schärfe perfekt auf dem Darsteller liegen, selbst wenn er sich bewegt und das im Zweifel auch in Großaufnahme. Diese Herausforderungen lassen sich nur mit zusätzlicher Technik meistern. Wenn Sie dabei an einen Monitor denken, liegen Sie falsch: Ein großer Monitor erleichtert die Beurteilung des Bildausschnitts. Besitzt er eine Peeking-Funktion, lassen sich scharfe Bildbereiche farblich kennzeichnen. Das ist komfortabel, ohne Frage.  Soll die Schärfe einem Darsteller perfekt folgen, erkennen Sie auf einem Monitor einen Fehler erst, wenn es viel zu spät und das Bild bereits unscharf (der Fachmann spricht von „weich“) ist. Ein Monitorbild ist darum zum Schärfeziehen völlig ungeeignet!

Follow Focus der Marke Wondlan

Was Sie an erster Stelle benötigen, ist eine Schärfezieheinrichtung, im Fachjargon „Follow-Focus“ genannt und natürlich die richtige Vorgehensweise.

Schärfenzüge zwischen zwei oder mehr Punkten

Einfach zu realisieren sind Schärfezüge zwischen zwei oder mehr Punkten, die das Auge des Betrachters führen. Vor Beginn der Aufnahme visieren Sie dazu dazu die jeweiligen Punkte an und stellen darauf scharf. „Augenschärfe nehmen“ heißt dieser Vorgang in der Fachsprache. Für jeden der Schärfepunkte bringen Sie am Handrad eine Markierung an. Am besten geht das mit non-permanenten Filzstiften für Overhead-Folien.

Verwenden Sie die Peeking-Funktion Ihres externen Monitors oder – falls Sie mit dem Kamera-Display arbeiten – die Taste zur Ausschnittvergrößerung. Zusätzlich sollten Sie die Objektivblende soweit wie möglich öffnen. Damit das Bild trotz der daraus resultierenden Überbelichtung erkennbar bleibt, müssen Sie gleichzeitig die Belichtungszeit verkürzen. Arbeiten Sie mit einem Zoomobjektiv, stellen Sie dessen längste Brennweite ein.

Halt: Diese Empfehlung, die seit Aufkommen der Zoomobjektive in den 1960ger Jahren zahlreiche unscharfe Aufnahmen verhindert hat, gilt heute nicht mehr uneingeschränkt: Fotozooms, die an Kameras mit großformatigem Sensor zum Filmen benutzt werden, sind oftmals nicht parafokal, sondern varifokal. Das bedeutet, mit Verändern der Brennweite ändert sich auch die Schärfenebene. Nur sehr kritische Motive erfordern das komplette Programm. Mit der Zeit werden Sie ein Gefühl dafür entwickeln, wann Sie auch auf einfacherem Wege zum Ziel gelangen.

Erschwert manuelles Schärfeziehen: Der Weg zischen Nah- und Unendlicheinstellung ist bei Autofocus-Objektiven sehr kurz.

Sobald die Kamera läuft, fahren Sie die zuvor festgelegten Punkte der Reihe nach an. Dabei reicht es nicht, einfach bis zur nächsten Markierung weiterzudrehen. Sie müssen dynamisch arbeiten: Beginnen Sie langsam, steigern Sie dann die Geschwindigkeit bis zum Maximum und lassen Sie sie zum Ende hin langsam auslaufen.

Einem bewegten Objekt folgen

Soll die Schärfe einem bewegten Objekt folgen, ist dessen Geschwindigkeit zwar maßgeblich für die Lage des Schärfepunktes, nicht aber für die Drehgeschwindigkeit des Handrades. Um das zu verstehen, schauen Sie sich die Schärfeskala eines Objektivs genauer an: Im Nahbereich liegen die Gravuren sehr weit auseinander. Trotzdem verändert sich die Entfernung nur geringfügig. Im Fernbereich ist es genau umgekehrt. Für Sie bedeutet das: Je näher das Objekt der Kamera kommt, desto schneller müssen Sie das Handrad drehen. Schwierig? – Ja. Focuspuller ist ein Beruf. Mit ein wenig Übung werden Sie jedoch die Mehrzahl der Situationen meistern; es gibt nämlich einige Hilfen und Tricks!

Die Lösung: Zahnringe mit Abstandhaltern wirken wie ein Getriebe und erhöhen die Fokusgenauigkeit

Der wichtigste Trick ist, die Schärfesteuerung einem Assistenten zu überlassen. Bei einem szenischen Dreh sollte das selbstverständlich sein.

Bei szenischen Drehs hat sich folgende Arbeitsweise etabliert: Zuerst wird die Szene „geblockt“, d.h. gemeinsam mit der Regie wird festgelegt, wo die Kamera steht und was davor geschieht. Während einer solchen Probe wird der Weg des Darstellers markiert. Das kann mit auf den Boden geklebten Lassobandstreifen erfolgen. Komfortabler sind Markierungen aus Gummi oder Teppichresten. Besonders wichtig sind die Start- und Endpunkte, aus denen die genaue Fußstellung hervorgehen sollte. Ist der Fußboden selbst im Bild, muss eine geeignete Ersatzmarkierung her: Eine Teppichkante, eine Stuhllehne oder bei Außenaufnahmen auch ein Baum, der in gleicher Entfernung zur Kamera wie der Darsteller steht. Wie viele Marken erforderlich sind, hängt von der Schärfentiefe ab. Eine Schärfetabelle oder eine App fürs Handy, mit der sich die Schärfentiefe berechnen lässt, sollte daher an keinem Set fehlen.

Eine Schärfetabelle oder eine App fürs Handy, die die Schärfentiefe berechnet, ist beim Dreh vorteilhaft.
Bodenmarke aus einem altem Teppichrest: Die Fußstellung sollte erkennbar sein.

Auf die richtige Arbeitsposition des Assistenten kommt es an: Schnelle Kopfbewegungen, wie sie bei falscher Positionierung durch den Blickwechsel zwischen Darsteller und Schärferad nötig werden, sind tunlichst zu vermeiden. Unweigerlich wird das den Akteur irritieren und ihn zu einem unerwünschten Blick in Richtung Kamera verleiten. Um das zu verhindern, sollte der Focuspuller leicht versetzt hinter dem Kameramann stehen und den Follow-Focus mit ausgestrecktem Arm bedienen. Nur in dieser Position hat er gleichzeitig das Geschehen vor der Kamera und die Markierscheibe am Handrad im Blick. Einblick auf den Monitor braucht der Schärfenassistent nur im Ausnahmefall. Oft ist das sogar hinderlich, weil er unweigerlich versuchen wird, „auf Sicht“ zu fokussieren. 

Jetzt liegt es in Ihrer Verantwortung, für jeden am Boden markierten Punkt die korrekte Schärfe zu ermitteln und am Handrad zu kennzeichnen. Profis verwenden hierfür gerne ein Maßband. Beim Dreh mit Fotoobjektiven ist diese Arbeitsweise auf Grund der kurzen Skalenwege zu ungenau. Wieder ist die Augenschärfe das Mittel der Wahl. Gemessen wird nicht auf die Markierung am Boden, sondern in Augenhöhe des Darstellers. Besonders gut erkennen Sie die Lage der Schärfe, wenn Sie den Darsteller bitten, eine Pappe mit einem kleinen Siemensstern darauf neben das Gesicht zu halten. Bei dunklerer Ausleuchtung des Sets verwenden Sie stattdessen eine kleine Taschenlampe mit einer einzelnen LED, die dazu direkt in die Kamera strahlen sollte.

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